Vollautomatisiertes Drahterodieren von Turbinenschaufeln
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Vollautomatisiertes Drahterodieren von Turbinenschaufeln - und das bei wechselnden Serientypen und Schaufelgrössen. Walter Meier hat sich der Herausforderung angenommen.
In diesem Bericht wird die vollautomatisierte Fertigung von Dämpferdrahtbohrungen (DDB) mittels Erodierverfahren beschrieben. Die Lösung wurde gemeinsam mit den Spezialisten auf Kundenseite, Walter Meier (Fertigungslösungen) AG und der R. Wick AG entwickelt.
Im Zentrum steht dabei u. a. eine FANUC-Drahterodiermaschine, die automatisch mit den Schaufeln bestückt wird. Eine hohe Prozesssicherheit und eine Autonomie von bis zu 60 Stunden für die mannlose Fertigung der Gesamtanlage wurden bereits bei Projektstart als wichtige Faktoren für die erfolgreiche Nutzung der Anlage vorgegeben.
Funktion der Dämpferdrahtbohrung
Die Dämpferdrahtbohrung am Schaufelende wird benötigt, um die Schwingungen der Schaufeln zu reduzieren. Dabei wird ein sogenannter Dämpfungsdraht durch die DDB der montierten Schaufeln gelegt. Durch diesen Draht erhalten die Schaufelenden eine zusätzliche Stabilität. Die Schwingungen in den Schaufeln werden reduziert. Ein Verfahren, das bereits seit Jahren Stand der Technik ist.
Wer hinter die Fertigungskulissen schaut, erkennt den enormen Aufwand, der wegen dieser relativ unscheinbaren Bohrungen realisiert werden muss. Aufgrund der Forderung nach 100-prozentiger Prozesssicherheit der Turbinen sowie der hohen Beanspruchungen derselben (Drehzahl, Temperatur, Gasgeschwindigkeiten und -beschleunigungen) sind die Anforderungen an Oberfläche und Präzision der DDB sehr hoch, um Kerbwirkungen vollumfänglich auszuschliessen.
Schiffsturbolader – 7000 h pro Jahr
Die Kernkompetenzen des Kunden liegen in der Entwicklung, Produktion, Montage und Maintenance von Hochleistungsturboladern für Mittelund Grossmotoren, die z. B. in Schiffsdieselmotoren Anwendung finden.
Florian Zimmermann, stellvertretender Teamleiter des Turboherstellers: «Die Anforderungen an unsere Turbosysteme in Schiffsdieselmotoren bewegen sich in völlig anderen Dimensionen als z. B. bei Turbos in Kraftfahrzeugen. Schiffe fahren ununterbrochen auf den Weltmeeren, die Motoren laufen 24 h pro Tag. Das bedeutet für unsere Turbolader, dass sie bis zu 7000 Stunden pro Jahr in Betrieb sind.»
Zum Vergleich: Ein Jahr verfügt über 8760 Stunden. PKW werden für eine Laufzeit von 5000 Betriebsstunden ausgelegt. Ein Dieselfahrzeug bringt es ggf. auf 300 Stunden pro Jahr.
F. Zimmermann: «Unsere Turbos dürfen somit nicht vor dem zeitlich definierten Wartungsintervall – wo Überholung des Turbos eingeplant ist – ausfallen. Für unsere Produktion heisst das wiederum, dass wir auch aus qualitativer Sicht sowohl am obersten Limit als auch wirtschaftlich agieren müssen.»
Schlüsselkomponenten: Hochleistungsschaufeln
Die Schlüsselkomponenten eines Turbos sind die Hochleistungsschaufeln im Abgastrakt. Strategisches Ziel des Herstellers war es, die Fertigungskompetenz am Standort in der Schweiz auszubauen und die Komplettfertigung der Turbinenschaufeln inhouse zu realisieren. Neben dem Profilschleifen der Schaufelfüsse muss je nach Schaufelart die entsprechende erosive Bearbeitung der Turbinenschaufeln auf einund derselben Anlage produziert werden können.
Schaufelmaterial: Traum oder Alptraum?
F. Zimmermann: «Die Turbinenschaufeln im Abgasstrang stehen unter enormen Beanspruchungen. Neben den hohen Abgastemperaturen unterliegen sie stetig wechselnden Drücken und Schwingungen der Abgasströme. Hinzu kommen hohe Drehzahlen. Das ist nicht zuletzt der Grund, dass wir für die Turbinenschaufeln hochtemperaturfeste Werkstoffe nutzen müssen. Dank solcher Legierungen ist es erst möglich, leistungsfähige Turbosysteme zu entwickeln.»
Helmut Niedermann (Technischer Verkaufsberater, Werkzeugund Formenbau, Walter Meier [Fertigungslösungen& AG): «Für Konstrukteure sind dies Traumlegierungen, hochfest und -zäh, auch bei hohen Temperaturen. Für Zerspaner sind solche Legierungen dagegen ein Alptraum. Zerspaner müssen sich die Köpfe zerbrechen, um diese Legierungen zu bearbeiten. Die Herausforderung bestand also darin, die Dämpferdrahtbohrungen der Schaufeln mit einem wirtschaftlichen Verfahren zu fertigen.»
Bisherige Fertigungslösung
Zur Herstellung der DDB wurde beim Hersteller bisher eine Senkerodiermaschine genutzt, die mit fünf Senkelektroden gleichzeitig fünf Schaufeln fertigte. Die Schaufeln wurden manuell eingelegt. Die Nachteile dieser Fertigungslösung waren folgende:
- Auf dieser Anlage konnte nicht das gesamte Spektrum der Turbinenschaufeln gefertigt werden.
- Die Anlage verfügte über eine geringe Autonomie für die mannlose Fertigung, da die Maschine kontinuierlich bedient werden musste.
- Es bestand keine Flexibilität für Neuentwicklungen und andere Typen von Turbinenschaufeln.
Die Lösung
Die Herausforderungen waren entsprechend gross, aber machbar. Entwickelt wurde seitens Walter Meier (Fertigungslösungen) AG gemeinsam mit der R. Wick AG eine automatisierte Drahterodier-Fertigungszelle mit integrierter Messzelle, Palettenbahnhof, ABB-Knickarmroboter und Prozessleitstelle.
F. Zimmermann: «Die Fertigungskapazität konnte mit nur einer FANUC-Drahterodiermaschine abgedeckt werden, um das Jahresvolumen der notwendigen Turbinenschaufeln fertigen zu können. Da wir unterschiedliche Schaufelgrössen zu bearbeiten hatten – von 50 bis 220 mm Länge – mussten wir ein Handlingkonzept entwickeln, mit dem alle Schaufelsysteme gehandelt werden können.»
«Wir konnten mit dieser Erodierzelle unsere Fertigungstiefe erheblich optimieren. Diese Anlage hat aus unserer Sicht absoluten Vorbildcharakter und zeigt eindrücklich, wie mittels modernster und vernetzter Fertigungsstrategien am Standort Schweiz wirtschaftlich produziert werden kann.»
Der Fertigungsablauf
Der Anlagenbediener legt eine Palette Schaufelrohlinge in die Anlage ein und startet das passende Fertigungsprogramm über das Jobmanagement-System.
Die Fertigungszelle agiert nach dem Job-Start vollautonom. Die einzelnen Schaufeln werden nach dem Job-Start per Vakuumgreifer der Werkstück-Palette zugeführt, die über eine 3-Punkt-Spannlösung verfügt, mit der die Schaufeln am geschliffenen Fuss sicher und präzise gespannt werden können.
Entscheidend: Inprozessmessung
H. Niedermann: «Generell ist hervorzuheben, dass beim Erodieren praktisch keine Kräfte auf das Bauteil wirken. Die 3-Punkt-Spannung muss gleichwohl stabil und wiederholgenau sein. Die genaue Lage der Schaufel wird über eine Zeiss-Mess-maschine in mehreren Schritten eruiert. Die hier ermittelten Lagekoordinaten gehen als Preset-Daten direkt an die beiden Erodiermaschinen. Wir können damit eine Formund Lage-Toleranz gegenüber dem Schaufelfuss in einem Toleranzfeld von +/–0,01 mm sicherstellen.»
Startlochbohrung in 30 Sekunden
Nach dem Messen übernimmt eine Madra-Bohrerodiermaschine die Fertigung der Startlochbohrung. Durchschnittlich nimmt die Hauptzeit der Startlochbohrung ca. 30 s Zeit in Anspruch.
Da bei der Bohrerodiermaschine ein anderes Dielektrikum als bei der FANUC-Drahterodiermaschine zum Einsatz kommt, erfolgt nach der Startlochbohrung ein automatisierter Reinigungsund Trocknungsprozess der Schaufel und der Spannmitteleinheit, die durch die Firma ITS-Technologies GmbH entwickelt wurde. Anschliessend erfolgt die Bearbeitung der Dämpferdrahtbohrung auf der FANUC-Drahterodiermaschine.
Der Drahterodiervorgang
Um die Schaufeln in der FANUC-Drahterodiermaschine horizontal zu positionieren, verfügt die FANUC-Drahterodiermaschine über eine gesteuerte Rundachse, welche die Winkellage der Schaufel exakt positionieren kann. Der Erodierdraht wird über ein patentiertes Drahteinfädelsystem automatisiert durch das Startloch der Schaufel eingefädelt. Anschliessend startet der eigentliche Drahterodierprozess.
Ausfallteile bereiteten Kopfzerbrechen
H. Niedermann: «Kopfzerbrechen haben uns die Ausfallteile bereitet. Generell sind die FANUC-Drahterodiermaschinen so ausgelegt, dass Ausfallteile problemlos in den Behälterbereich gespült werden können, ohne den Prozess zu stören.»
Das ist ein wichtiger Punkt – aber nicht der kritischste. Viel problematischer ist es, wenn die Ausfallteile, respektive die Kerne, sich verkanten und den Erodierdraht verklemmen. Das erfahrene Team von Walter Meier hat eine spezielle Bearbeitungsstrategie für diese Anwendung entwickelt, damit die Ausfallkerne hochgradig prozesssicher in der automatisierten Produktion entfernt werden.
Hervorragende Prozesssicherheit
H. Niedermann: «Es ging darum, den gesamten Schneiderodierprozess in der Art zu optimieren, dass wir unter drei Promille Fehlerquote liegen. Diesen Wert konnten wir mittels Anpassungen im Erodierprozess erreichen. Dies ist dann auch die Grundlage, welche eine hohe Autonomie der Fertigung von bis zu 60 h ermöglicht.»
Höchste Oberflächengüte gefordert
Auf die Frage des SMM, welche Aspekte generell beim Drahterodierprozess wichtig waren, antwortete F. Zimmermann: «Die Erodierzelle musste vor allem schnell sein. Darüber hinaus musste die Qualität stimmen. Speziell bei den Bohrungen durften keine Einfahrmarken sichtbar sein. Warum? Ganz einfach, die Bohrung wird während des Betriebs des Turboladers sehr hoch belastet. Deshalb müssen u. a. Kerbwirkungen konsequent unterbunden werden. Die neue Anlage erfüllt alle Anforderungen, die wir im Pflichtenheft im Vorfeld formuliert haben.»
Direkt nach Inbetriebnahme produzierte die FANUC-Erodierzelle bereits die ersten Schaufeln in Serie. Die vollautomatische Erodierzelle war nicht nur eines der herausfordernden Fertigungsprojekte in den letzten Jahren in der Produktion des Kunden. Dieses Projekt widerspiegelt die vollumfängliche fertigungstechnische Umsetzung der hohen Anforderungen des Kunden.